Eigentlich lebt Alex mit Susann und ihren beiden kleinen Kindern schon sehr gemütlich in einem selbst renovierten Häuschen. Auf den ersten Blick sieht man, dass hier viel eigene Arbeit geleistet
wurde mit sehr viel Liebe zum Detail. Besonders der Küchenfußboden aus alten Backsteinen hat uns sehr beeindruckt!
Nun hat es sich aber ergeben, dass schräg gegenüber, direkt neben ihrem Garten, ein Grundstück mit einem alten, fast abrissreifen Haus günstig zu kaufen war. Genaugenommen wurde das Gebäude gar
nicht berechnet, man ging wohl davon aus, dass es das Zeitliche gesegnet hätte. Um das Haus zu retten, musste als erstes ein neues Dach drauf. Während dieser ersten Bauphase - es bekam ein edles
Tonziegeldach mit dunkelgrüner Glasur - wurde Alex und Susann klar, dass dies ihr zukünftiger Wohnort sein soll. Einzellage, wunderschöner Ausblick über Felder, den Garten direkt dabei...
und die andere Wohnung soll vermietet werden.
Als wir die gemütliche warme Küche verlassen, um an diesem griesgrauen Wintertag die Seegrasbaustelle kennenzulernen, erwartet uns ein Haus, das - nun, baulich eine sehr große Herausforderung ist! Da hätte sich nicht jede/r rangetraut. Das neue Dach glänzt schon tiptop, neue Fenster der dänischen Firma Bøjsø sind schon eingebaut. Die Wände sind z.T. alte Stampflehmwände, z.T. circa 100jährige Ziegel mit halbfertig renovierten Fassaden. Hier gibt es noch jede Menge zu tun! Was wir Alex und seinen Helfern zutrauen, viel ist ja schon geschafft. Und wer seine Arbeit mit so viel Freude und Kreativität macht, hat auch Ausdauer! Drinnen sind einige Böden ausgekoffert, alles ist im "Rohzustand".
Oben auf dem Dachboden zeigt Alex uns sein selbstgesammeltes Seegras. Die Ostseeinsel Poel, die man mit dem Auto leicht erreichen kann (also ohne Fähre), ist nur 20 Minuten Autofahrt entfernt,
und dort gibt es oft sehr gute, üppige Seegrasanspülungen. Wenn er mit seiner Familie dort spazieren geht und sie dabei Seegras sammeln, kommen sofort interessierte Fragen von Touristen, erzählt
er lachend. "Was sammelst du denn da?" "Machst du Kissen?" Gerne erzählt er ihnen, was Seegras für ein tolles Material ist und was man da alles mit machen kann. Er sagt, Selbersammeln sei super
in den Alltag integrierbar, weil die Weiterverarbeitung sehr entspannt ist: erst können die Kisten mit dem Strandgut eine Weile im Garten stehen (und gerne von ein paar Regenschauern durchgespült
werden), wenn er Zeit hat, wäscht er es, lässt es ein paar Tage in den Körben abtropfen und breitet das Seegras dann auf dem Dachboden auf Paletten aus, wo es nach mehrmaligem Wenden je nach
Witterungsbedingungen 1 bis 3 Wochen dauert, bis es trocken ist. Die allerletzte Restfeuchte verschwindet, wenn das Seegras in Jutesäcken herumsteht. Entspannt sind die Arbeitsschritte, weil es
egal ist, wieviel Zeit man sich nimmt: es schimmelt ja nicht!
Es gibt verschiedene Qualitäten, manchmal ist es ziemlich durchsetzt mit den Wurzelstrünken des Seegrases, und verschiedene Algen wie z.B. Blasentang kommen darin vor. Dies ist aber für die
Dämmeigenschaft in der Wand unerheblich: schimmel-, brand- und schädlingsresistent sind offenbar alle Meerespflanzen.
Alex erzählt: "Wenn ich eine richtig schöne Qualität haben will, die auch für Kissen gut ist, nehme ich grünes Seegras, nicht das, was schon länger herumliegt. Ein bisschen weiter Richtung Dünen
liegt oft so flockiges Seegras, das so wahrscheinlich schon perfekt ist: vom Regen gespült und vom Wind getrocknet. Das möchte ich auch mal sammeln und für Kissen verwenden."
Weihnachten hatte er super Geschenke: selbstgemachte Seegraskissen für Familie, Freunde und Helfer auf der Baustelle!
Auf die Frage, wie er überhaupt auf Seegras gekommen sei, antwortet er, dass seine erste Überlegung war, dicke Schilfplatten an die Stampflehmwand zu dübeln. Dann war er auf der Suche nach etwas Günstigerem, Stroh war auch eine Option. Als sein Maurer jedoch erzählte, dass es in der DDR üblich war, mit Seegras zu dämmen (Anmerkung: und auch schon davor!), war sein Interesse dafür geweckt. Es war ein großer Spaß für ihn, das Baumaterial selber in der Natur zu sammeln, an die 10qm Dachschräge konnte er mit Selbstgesammeltem füllen. Da er aber noch weit über 100qm mehr zu versorgen hat, ist er ganz froh, Seegras auch noch dazukaufen zu können.
Draußen erklärt Alex uns die Konstruktion, die er sich ausgedacht hat: eine vertikale Lattung, fixiert mit Schlossschrauben und Langhalsdübeln, darauf hat er mit kleinen Brettchen als Abstandshalter dazwischen eine horizontale Lattung angebracht. Als nächstes hat er Gaze (die es zum Verputzen im Baumarkt zu kaufen gibt) angetackert und Seegras dahintergestopft. Das darf sich ruhig ein bisschen auswölben, dann sitzt die Reetplatte (www.hiss-reet.de, Bad Oldesloe) umso strammer, wenn man sie mit Schrauben festzieht. Beim Seegrasstopfen hilft gerne die ganze Familie! Die Schilfplatten erhalten später einen diffusionsoffenen Kalkputz.
Silvester hat er mit seiner Familie und seinen Gästen über die Schallschutzwirkung der kombinierten Materialien Stampflehm und Seegras gestaunt: Drinnen wurde mit einer Musikanlage sehr laut Musik gemacht, wenige Meter weiter auf der Straße war fast nichts davon zu hören!
Inzwischen ist Alex ein richtiger Seegrasfan. Er weiß die Eigenschaften zu schätzen, dass es großen Widerstand gegen Feuer, Schimmel und unerwünschte Tierchen besitzt, dass es regional ist, die Herstellung extrem wenig Energie kostet, der Preis im Bereich der Ökobaustoffe ganz okay ist und vor allem, dass er es selber sammeln kann. Er kann komplett dahinter stehen und hat Vertrauen, dass es eine gute langfristige Lösung ist, wenn es vernünftig verbaut ist. Er arbeitet gerne mit Materialien, die er gerne in die Hand nimmt, mit denen er sich wohl fühlt.
"Etwas was ich in mein Kissen stopfe, habe ich auch gerne in meiner Wand und muss mir keine Sorgen machen, dass ich davon Hauteffekte oder ähnliches bekomme. Ich finde es als Rundumpaket einfach eine schöne Sache, hinter der ich voll stehe und die mir auch wirklich Spaß macht beim Verbauen. Also ich feier ein Fest mit jeder Hand Seegras, die ich da reinstopfe,
weil das einfach eine schöne Sache ist und man sich damit einfach wohlfühlen kann!"
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milo (Samstag, 08 Juli 2023 15:00)
Warum muss ein stampflehmhaus aussen gedämmt werden? Im dorf meiner Eltern ist kein einziges der 20 alten stampflehmhäuser gedämmt, weil es wärmetechnisch keinen sinn macht, wenn die wände 50 cm dick sind. gute thermofenster und eine gute decken/dachdämmung sind wichtig. die wände NICHT. Ich lebe auf einer Insel wo seit Jahrhunderten mit Seegras dächer gedeckt wurden. Eine widersinnige Baumethode, die heute als "historische Bauweise" 'gefeiert' wird. Ich habe vor 30 Jahren selber in so einem 'Tang'-Haus gewohnt und so ein Dach renoviert. Im Jahr zuvor hatte ich ein modernes 2-geschossiges Stampflehmhaus gebaut. Leider wurde die Baugenehmigung durch auflage zur Aussendämmung bedingt, was völlig widersinnig ist bei 50 cm lehmwänden.
Jörn (Samstag, 08 Juli 2023 16:22)
Hallo Milo,
Vielen Dank für Deinen Kommentar. Lehm hat zwar eine gute Wärmespeicherkapazität , dämmt aber sehr schlecht (das ist bei Steinwänden auch ziemlich ähnlich). Daher macht es sehr viel Sinn solche Wände von außen zu dämmen, weil sonst die gespeicherte Wäre nach außen abgeleitet wird. Ob man bei einer 50 cm Wanddicke von außen noch dämmt, muss man sich überlegen, bis man so eine Wand aufgewärmt hat, dauert es aber auch eine Weile...